Das Althebräisch der Bibel wird eine Ursprache genannt, wie es Friedrich Weinreb in seinen Vorträgen immer wieder betont. Doch was ist das Wesen einer Ursprache und wie unterscheidet sich diese von anderen Sprachen?
Im Gegensatz zum Althebräisch der Bibel wird das Neuhebräisch, auch Ivrit genannt, seit grob anfangs des 20. Jhdts. wieder geschrieben und gesprochen und ist seit Gründung des Staates Israel 1948 dort Amtssprache und im Volk gesprochene Sprache. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine exakte Wiederbelebung der alten hebräischen Sprache. Das Ivrit enthält viele neue umgangssprachliche Ausdrücke, die aus Sprachen wie dem Russischen und dem Arabischen übernommen wurden oder auch aus einer Vielzahl von anderen Sprachen entlehnt wurden bzw. entsprechend immer wieder neu entlehnt werden.
Ursprache aus weltlicher Sicht
Ich spreche diese Einzelheiten bewußt an, denn hier wird der genaue Unterschied zwischen einer Ursprache und einer gesprochenen Sprache sehr deutlich: Eine Ursprache ist eine Sprache welche keine Entwicklung kennt bzw. kannte.
Das moderne Hebräisch und andere gesprochene Sprachen sind im Laufe der Zeit einer (Sprach-)’Entwicklung‘ unterworfen worden, so wie alles im Laufe der Zeit einer Entwicklung unterworfen ist.
Eine Ursprache ist im Gegensatz dazu unverändert, ist so wie sie von G-tt gegeben wurde, wie sie geträumt oder durch den heiligen Geist empfangen wurde, ganz egal wie sich diese hier konkret im Laut und in der Schriftform für den Menschen offenbart. Eine Ursprache unterliegt nicht einem zeitlichen Entwicklungsverlauf.
Friedrich Weinreb spricht davon, daß es mehrere Ursprachen geben könnte, wie z.B. auch ein Ur-Deutsch oder ein Ur-Indisch; evtl. das Sanskrit. Er habe sich damit aber nicht tief genug beschäftigt um konkreteres sagen zu können, sagt er sinngemäß.
Heutzutage ist bei aufgeschlossenen Sprachkundigen auch der Gedanke einer einzigen, weltumfassenden und voraussichtlich weiter in der Vergangenheit liegenden Ursprache sehr präsent. Parallel dazu ist für mich ebenso sehr gut vorstellbar, daß sich zu bestimmten Zeiten weltweit verschiedene Ursprachen in verschiedenen Kulturen auskristallisierten und sich im Verlauf der Zeit auch in einer spezifischen Schriftform manifestierten, welche alle eine starke Ähnlichkeit untereinander aufweisen, ohne daß im Sinne eines rein zeitlichen Denkens im Sinne von Ursache und Wirkung eine einzige davon „die“ Ursprache, bzw. „die“ Quelle aller anderen Sprachen sein muß.
Wichtig scheint mir hier auf jeden Fall den Gedanken zu betonen, daß eine Ursprache nicht bedeuten muß, daß es – rein im Fluß der Zeit betrachtet – nicht unbedingt nur „die“ eine Ursprache geben muß.
Das Problem der Übersetzung der heiligen Schrift
„Jede Erklärung einer Bibelstelle, sogar eines Bibelwortes ist schon eine Übersetzung, entkräftet die geballte Wucht der Worte Gottes.“
Das jüdische Passahmahl S.36, Friedrich Weinreb
Das Targum Onkelos ist die Übersetzung der Bibel ins Aramäische. Die großen, inspirierten Bibelerklärer im Judentum greifen auf diese aramäische Übersetzung zurück. Parallel zur Bibellesung wird der gleiche Text im Targum Onkelos gelesen. Diese Übersetzung ist also nützlich für entscheidende Erklärungen der hebräischen Texte.
Es kann aber immer nur eine Übersetzungsmöglichkeit der Bibelschrift sein, denn jedes Wort der Bibel hat eine Vielzahl von Bedeutungen und kann immer nur im Zusammenhang und auch auf verschiedenen Ebenen verstanden werden.
Friedrich Weinreb erzählt oft von der Vielschichtigkeit des Wortes. Ein kleiner Exkurs:
Das Wort ist eine Einheit aus vier Schichten, die vom Groben ins Feine gehend eingeteilt werden in 1. das geschriebene Wort, 2. das Sprechen der Konsonanten, dann 3. das weitere hinzufügen des Sprechens der Vokale und am Ende 4. der Melodie des Satzes; denn das Wort der Bibel wird gesungen, nicht gesprochen, heißt es. Es ist wie die Melodie des Lebens und wenn der Mensch im Alltag anfängt ein Wort zu sprechen, steht bei ihm die Sprachmelodie des gesprochenes Satzes unbewußt schon fest, bevor er den Satz überhaupt ausgesprochen hat.
Die Sprachverwirrung der heutigen Zeit
Viele Worte die ich benutze, kenne ich vielleicht gar nicht wirklich in ihrer tiefen Bedeutung. Wenn jemand „böse“, „Liebe“ oder „Sünde“ sagt, stellt sich jeder etwas anderes darunter vor, bedeutet dieser Begriff für jeden etwas anderes, je nach Prägung des Menschen, seinem Umfeld in dem er aufgewachsen ist und dem Maße wie er sich bewußt mit Sprache schon beschäftigt hat.
Somit sind Mißverständnisse vorprogrammiert und es entstehen Hindernisse um eine gewisse Gesprächstiefe zu bekommen, wenn das Wort unterschiedlich verstanden wird. Viele Aussagen und auch Redewendungen werden auch einfach unbewußt nachgesprochen, ohne den wahren Sinn zu kennen. Ich vermute dann meist nur, daß ich es sinngemäß schon ungefähr verstehen würde.
Die Ursprache im Jenseitigen des Menschen
Noch problematischer wird es, wenn ich eine übersetzte Bibel lese und Begriffe wie „G-tt“, „heiliger Geist“ und „Opfer“ lese. Die Deutung und Vorstellung der eh schon oft unglücklich gewählten Wortwahl in der Übersetzungen ist vielzählig und verwirrend.
„Die Ursprache ist tief im Menschen in seinem Ewigen. Von dorther kommen uns auch die Worte, die Sprache, die wir sprechen.“
Friedrich Weinreb
Mithilfe des Wortes einer Sprache soll aber nicht nur ein Bild ausgedrückt werden, das beim wörtlichen Lesen eines Textes im Kopf entsteht, sondern es soll auch die dahinterliegende, tiefere Bedeutung des Wortes vermittelt werden, welche hinter dem Bild des Wortes verborgen liegt. Diese Beziehung zur dahinterliegenden Wortebene ist aber bei den meisten Sprachen verloren gegangen. Bei der Ursprache ist diese Verbindung zum Wesen des Wortes im Jenseitigen noch gegeben und kann somit noch eindeutig erkannt werden. Deswegen ist im Bibelhebräisch auch jedem Buchstabenzeichen (1-22) ein eindeutiger Zahlenwert zugeordnet (Aleph: 1, Beth: 2, usw.), der jeweils eine ganz individuelle Bedeutung hat. Siehe hierzu auch meinen Filmbeitrag zu den Schriftzeichen des hebräischen Alphabets.
Zahlen erzählen
Aus dieser Quelle der 22 Zeichen können wir er-zählen; das Wort er-zählen komm doch auch im Deutschen von dem Wort Zahl. Deswegen sind die Geschichten der Bibel wie Zahlen, abstrakte Formen aus denen die Vielheit der Erzählungen für uns herausfließt.
Bei heutzutage gesprochenen Sprachen ist diese eindeutige Verbindung zwischen dem äußeren Bild des Wortes und der Eindeutigkeit der Zahl, die das Sinnbild des Wortes aus dem Jenseitigen offenbart, wie bereits geschrieben mit der Zeit verloren gegangen.
Die Zahlen des Wortes offenbaren das Wesen des Wortes und dürfen deshalb nicht verändert werden. Verdeutlicht werden soll dies an folgendem Beispiel, das im Buch „Schöpfung im Wort“ auf Seite 78f. zu finden ist:
Das Wort „Schlange“, ‚nachasch‘ wird im Hebräischen 50-8-300 geschrieben. Das Wort für „Fall“ bzw. „fallen“, ’nophal‘ wird 50-80-30 geschrieben und das Wort für „körperliche Seele“ ’nephesch‘ wird 50-80-300 geschrieben. An der Struktur 5-8-3 aller drei Worte ist zu sehen, daß eine Beziehung zwischen den drei Worten „Schlange“, „Fall“ und „körperlicher Seele“ besteht, auch wenn rein äußerlich keine Beziehung in der Bedeutung dieser drei Worte für uns ersichtlich ist. Das Gemeinsame, was das Wesen dieser drei Worte verbindet, hat damit zu tun, daß etwas von einer höheren Ebene kommend auf einer niedrigeren Ebene endet. Genau das heißt auch das Wort „fallen“.
Geht diese Zahlenstruktur des Wortes verloren bzw. ändert sich die Schreibweise des Wortes durch Änderungen in der Aussprache oder Rechtschreibreformen, dann kann vom Bild des Wortes wie z.B. „Schlange“ nicht mehr auf das Wesen des Wortes geschlossen werden. Jedes Wort der Bibel hat eine ganz individuelle Zahlenstruktur, deswegen darf am Urtext der Bibel auch nichts verändert werden.
Zusammenfassende Gedanken
Mit dem Begriff Ursprache ist also nicht einfach nur eine weltliche Sprache gemeint, die in der zeitlichen Vergangenheit gelegen weit zurückliegt oder die von einem wissenschaftlichen Fachkreis als die erste bekannte Sprache ausgemacht wird, sondern eine Ursprache hat vom Prinzip her etwas mit dem direkten Wort G-ttes aus dem Jenseitigen zu tun: eine Ur-sprache kommt aus dem Ursprung, der Welt bei G-tt und kristallisiert sich dann im Konkreten in die für uns verschiedensten bekannten, gesprochenenen und geschriebenen Sprachen aus.
In diesem Sinne meint der Begriff Ursprache in der Bibel auch, daß man anhand der Sprache sehr vieles erkennen kann, was beim Menschen eigentlich sein Denken, sein Wahrnehmen, seine Vorstellung, seine Phantasie ist. Denn der Mensch denkt in Bildern und auch seine Wahrnehmung funktioniert in Bildern. Und jedes Bild ist wiederum auch in einem Wort ausdrückbar.
Deswegen ist das Wort so wichtig, weil ich ohne die Kenntnis des Wortes eigentlich gar nicht denken kann. Gerade die Ursprache kann mich zu dem bringen, daß das Wort G-ttes, wie es in der hebräischen Bibelschrift zu lesen ist, von mir begriffen wird, daß ich es in seiner Tiefe erforschen und erkennen kann, und es sich mir offenbart, was mit diesen Worten der Bibel gemeint ist.