Die Sehnsucht nach der Ewigkeit

Im Buch „Das Opfer in der Bibel“ schreibt Friedrich Weinreb über die Sehnsucht nach der Ewigkeit:

Wenn der Tempel (Anm: die „Wohnung“ Gottes in der Welt und im Menschen) nicht da ist, heißt es, begegnet man einer Frau in schwarzen Trauerkleidern zwischen Ruinen, denn der Tempel ist verwüstet und alles, was früher war, ist verschwunden.
Und nicht nur der Tempel, jede Sache ist jetzt eine Ruine: die Wissenschaft, die Philosophie, die Dichtung, alles ist dann zerbrochen, unvollständig, unfertig. Und zugleich mit diesen Ruinen erblickt man auch die Frau in schwarzen Kleidern, und sie weint. Wer ist diese Frau? Es ist die sch‘china, Gottes Mitgehen in der Zeit, die weint, weil der Tempel verwüstet ist.

Und darum sagt man: Leben heißt, dass man sich immer nach dieser Rückkehr sehnt. Nach Meinung der Psychologen sehnt sich der Mensch nach der Zeit im Mutterleib vor seiner Geburt zurück; aber vielleicht ist damit etwas gemeint, dass er sich doch nach etwas ganz Anderem sehnt, nach einer Wärme, einem Leben, in dem er irgendwo anders war. Diese ständige Sehnsucht gibt ihm das Gefühl, er gehöre woandershin, und wenn er jemandem begegnet, glaubt er, dieser könnte ihm vielleicht die Erfüllung bringen. Vielleicht spürt er, dann:
Den kenne ich schon, dem bin ich früher schon begegnet. Und es ist auch wirklich so, dass man sich irgendwo anders begegnet ist, diesen Kontakt schon länger hat, ja, dass er im Wesentlichen schon von Ewigkeit her besteht. Das ist die Sehnsucht im Menschen, das „korban“ (Anm: das Näherkommen zu Gott) zu bringen und dadurch bewusst diese Verbindung herzustellen, den Schlüssel wiederzufinden.

Friedrich Weinreb, Das Opfer in der Bibel S. 106f

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